Am 12. November 2010 erfuhr ich gen 20 Uhr über @cervus von einem Grundtvig-Workshop (aus den EU LLL project series) in Utrecht, für den man sich bis Mitternacht bewerben konnte. Nur aus Neugier schaute ich in die Unterlagen und beschloss auf der Stelle, dass ich unbedingt an dieser besonderen Lernwoche im Februar 2011 beteiligt sein wollte.
Self-directed Learning ist sowohl der Begriff für das Lernverständnis, das diesem Workshop zugrunde lag, als auch der Begriff für eine Sammlung von Methoden, die man im Workshop lernen und mit denen dort gelernt werden konnte. Und für mich selbst und einige andere TeilnehmerInnen war SDL außerdem noch selbst ein expliziter Gegenstand des Lernens. Mit diesen drei Ebenen von SDL im mentalen Gepäck und mit weiteren expliziten (und natürlich auch noch einer Menge von verheimlichten) Lernwünschen beladen startete ich in mein eigenes Lernprojekt “Utrecht” vom 31. 01. – 05. 02. 2011 und traf dort auf 17 andere Menschen mit eigenen Lernprojekten aus 11 Ländern und auf jede Menge Facilitators.
Wie immer nach gelungenen Lernprojekten fuhr ich anschließend so nach Hause:
- Meine explizit gewünschten Lernergebnisse wurden gerade noch erreicht. Yeah! (Die Wünsche waren: Die Theorie des Self-directed Learning verstehen; Videos machen können; eine Sudbury School erkundet haben; Kontakte für mein “Happy old women”- Projekt machen.)
- Ungebetene, nicht intendierte, aber offenbar notwendige Lernergebnisse mussten zähneknirschend und mühsam erkämpft werden (um 1. überhaupt zu erreichen). Yeah!
- Unerwartete implizite Einsichten und gute Gaben fielen überraschend als Geschenke nebenbei in den Schoß und wurden erst im Erleben und danach noch einmal expliziert in der Reflexion genossen. (Das ist die organisierte Serendipity: wenn Vorbereitung und Wachheit auf Gelegenheit trifft.) Yeah!
- Alles hat unverschämt viel Mühe und Spaß gemacht. Und manchen Spaß hat es auch ganz ohne Mühe gegeben.
Hier möchte ich nicht weiter über den Workshop berichten – auch wenn er mehr als ein eigenes post verdient hätte! Hier geht es um das Einlösen einer Selbstverpflichtung. Denn ein Hilfe zum Durchhalten für meine gewünschten Lernergebnisse im Sinne von (1) hatte ich mir schon im Vorfeld abgesichert. In Facebook hatte ich notiert:
Und auf die Kommentare hin fand ich mich plötzlich in einem Service-learning-Zusammenhang wieder, von dem ich wusste, dass er mir in durststreckigen Zeiten helfen würde, am Ball zu bleiben:
Solche Community-oder auch peer-to-peer-Lernunterstützung kann man in ihrem Wert gar nicht überschätzen. (Drum ist der Wikipedia-Eintrag zum sogenannten Service-Learning auch wieder furchtbar reduktionistisch auf Schule gedacht. In LLL-Zeiten gilt er für alle Lernvorhaben aller Menschen – und Organisationen!) Also: Meine notwendigen Motive, auch in schwierigen Lagen das Vorhaben durchzuhalten, SDL zu erkunden, ein Video über eine SudburySchool zu machen (und dabei überhaupt Video machen zu lernen, denn man könnte das in der Lehrerbildung gut für Unterrichtsdoku verwenden) und anschließend über die Ergebnisse in einem Blogpost zu schreiben, verdanke ich auch den facebook-Freunden, die bestimmt an mich “geglaubt” haben (was ich jedenfalls geglaubt habe, obwohl ich weiß, dass es nicht zu glauben ist – und das ist ja der Trick).
Jetzt also endlich zur Auslieferung der Ergebnisse meiner selbstbestimmten und dann durch selbst inszenierte Kontextsteuerung (aka Service learning) unterstützten Lernvorhaben:
1. Self-directed Learning (SDL) als Gegenstand:
Für den Begriff und die Konzeptionen des Self-directed Learning gibt es – soweit mir bekannt – noch keine wirkliche Entsprechung in der pädagogischen Diskussion in Deutschland. Naomi den Besten, Lina Grundsteine und Anna Wohlesser schlagen in ihrem kleinen Buch Paint your own picture als deutschen Begriff „selbstgesteuertes Lernen“ vor. Systemtheoretisch verstanden, klingt diese Begriffskombination jedoch wie ein Pleonasmus – denn systemtheoretisch gesehen ist Lernen natürlich immer ein Selbststeuerungsprozess. Bei einer vermeintlichen Fremdsteuerung von Lernen handelt es sich danach entweder immer nur um zum Scheitern verurteilte Fremdsteuerungsversuche. Oder es ist kein Lernen.
Nichtsdestotrotz gibt es den Begriff selbstgesteuertes Lernen im Deutschen, unter dem ein großer Strauß von Konzeptionen und Methoden versammelt ist, die dem Lernenden mehr Unabhängigkeit, mehr Eigenverantwortung und mehr Aktivität vor allem der Lernorganisation und dem Lernprozess gegenüber zugestehen, als in den formalen Bildungsinstitutionen üblich ist. An eine Selbstbestimmung der Ziele, Inhalte und Ergebnisse ist hingegen seltener gedacht. Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass sich die meisten dieser Konzeptionen und Methoden dem Konstruktivismus verpflichtet fühlen, der ja nur über den Mechanismus des Lernens als Wissensproduktion via Eigenkonstruktion des Individuums Aussagen trifft, also über das “Wie” im eigenen Kopf, nicht jedoch über die Frage des kollektiven bzw. gesellschaftlichen Aspekts der Wissensproduktion. Und noch viel weniger über die Frage des “Warum”, also der Frage nach Motiven, Bedeutungen und Sinn. Daher eignet sich ein Bezug auf konstruktivistische Lernkonzepte auch hervorragend, wenn es nur darum geht, von der sogenannten “Inputsteuerung” (Stoffkataloge werden vorgegeben) zur sogenannten “Outputsteuerung” (Ergebnisse werden vorgegeben) überzugehen, wie es die heute gängigen (staatlichen) Schulreformkonzeptionen vorsehen, die sich um eine Unterrichtsentwicklung (meist unter den Begriffen “Individualisierung”, “Kompetenzorientierung”, “Selbstverantwortliches Lernen” usw.) bemühen.
Konstruktivismus (“Selbstlernen” – was für ein verrückter Begriff!) und Outputsteuerung finde ich inzwischen enttäuschend. Immerhin sind sie besser als Instruktionismus (Belehrung) und Stoffkataloge, die ja zumindest ständig veralten und in Zeiten einer globalisierten Welt lächerlich wirken. (Man denke nur mal an den Geschichtsunterricht als Stoffkatalog einer Nationalgeschichte.) Andererseits sind die Reformversuche auch nur dann besser, wenn das Vorgeben von Lernergebnissen als Kompetenzen in den neuen Curricula nicht kleinschrittige Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten formuliert. Das passiert jedoch schnell, weil sie nur dann operationalisierbar (“runtergebrochen”) und nur dann messbar sind. Vom einen wie vom anderen möchten die Bildungssysteme offenbar zur Zeit jedoch auf keinen Fall lassen. Wie auch immer, “immerhin besser” (Optimierungsmodus) wird meiner Meinung nach voraussichtlich nicht mehr ausreichen, um die Karre aus dem Dreck zu kriegen (will heißen, die Bildungssysteme an die veränderte Realität anzupassen.)
SDL ist genauso ein Sammelsurium verschiedener Vorstellungen, Ansätze und Methoden. Auch sie ranken sich alle um den Wunsch herum, der Einsicht, die seit Systemtheorie und Konstruktivismus die Spatzen von den Dächern pfeifen, nämlich, dass nicht genügend gut gelernt wird ohne ein Mindestmaß an Selbstbestimmung, endlich auch entsprechende Praxis in den Bildungseinrichtungen folgen zu lassen.
In der kurzen Zeit musste ich mich beschränken und beschränkte mich auf einen Ansatz und eine Person als deren Vertreter. Ich fand auf der SDL-Website von Maurice Gibbons diese weitestgehende Definition von SDL im Unterschied zu TDL:
Self-Directed Learning (SDL) is any increase in knowledge, skill or performance pursued by any individual for personal reasons employing any means, in any place at any time at any age.
Teacher-Directed Learning (TDL). Teachers or other authorities choose what is learned, why it is to be learned, how it is to be learned, when, where and at what age.
Zu sehen ist die enge Bindung des Begriffs an ihr schwarzpädagogisches Vorbild, von dem sie sich absetzt: Lernen als explizit selbstbestimmte Aktivität kann hier nur im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Erfahrung der Fremdbestimmung gedacht und definiert werden. Folgerichtig gibt es die Vorstellung, dass die bisherigen Lehrhandlungen vom Lernenden selbst übernommen werden. Er tritt dann also als Lehrer seiner selbst auf. Hm.
Ursprünglich ist SDL ein Konzept der Erwachsenenbildung. Denn die Vorstellung, dass Erwachsene beim Lernen bevormundet werden können oder sollten, wird offenbar am ehesten aufgegeben, wohingegen bei Kindern das Bevormunden als Schutzveranstaltung begründet wird. (Ich gehe jetzt mal NICHT aufs deutsche Internetschutzsuchtproblem ein, obwohl es sich gerade für das Problem hervorragend als Beispiel eignet.)
Im SDL-Konzept von Maurice Gibbons, das ich mir genauer in seinem Handbuch des selbstbestimmten Lernens (nur auf Englisch) unter die Lupe nahm, wird auf ein spezielles Lebensalter fokussiert, in dem SDL besonders gut zu erlernen sei, die Adoleszenz. Und konsequent wird im Buch fokussiert auf Schule, und darauf, dass die Jugendlichen vorher fortlaufend mit TDL behandelt wurden, von dem sie und ihre TDL-Lehrer sich nach und nach lösen und in eine “erwachsene” Form des Lernens hinüber geführt werden sollen. Der Hintergrund ist die Vorstellung vom Mündigwerden, vom Autonomwerden, was nur durch die Begegnung mit und das erfolgreiche Meistern von echten Herausforderungen des Lebens möglich ist. Diese Herausforderungen könne man jedoch nur meistern, wenn man dabei gleichzeitig selbstbestimmtes Lernen entwickelt.
Dieses Buch ist sehr nützlich für Lehrer, die ihren Unterricht öffnen wollen und aus der Engführung des Lehrerberufs als dauerbevormundenden kleinschrittigen Anleiters zur Lösung vorgegebener Aufgaben heraus wollen. Es gibt gute Vorstellungen und Instrumente für ein schrittweises Programm von einer ersten Öffnung der Lehrerrolle vom Erklärenden hin zum Fragenden bis hin zu einer “vollentwickelten” SDL-Teacher-Rolle, womit der Lehrer den Schülern bei ihrem selbstbestimmtes Lernen beratend zur Seite steht. In den einzelnen Kapiteln werden die Lehrer sowohl als Lehrer als auch selbst als Lernende angesprochen, und die “Schüler” werden historisch konkret als Teacher-directed gewohnte Lernende vorgestellt, die zusammen mit ihrem Lehrer in eine neu zu erlebende Selbstbestimmung hineinwachsen sollen. Die Lehrer lernen dabei, “Selbstbestimmtes Lernen zu unterrichten”. Die Selbstbestimmung erfasst dabei im Gegensatz zu deutschen Schulreformvarianten nicht nur die Lernwege und Lerngeschwindigkeiten, sondern ausdrücklich auch die Lerninhalte, Lernziele und Lernergebnisse. Lernprojekte spielen eine große Rolle – und hier trifft sich SDL mit der Projektdidaktik Deweys. Da jedoch die Begriffe “Teacher” und “teaching” und auch die Schule als Ort des Lernens mit ihrer klaren Rollenverteilung nicht in Frage gestellt wird, bietet das Handbuch einerseits eine Möglichkeit, seinen Unterricht in der laufenden Praxis in Richtung mehr Selbstbestimmung optimierend zu gestalten. Andererseits nimmt es die Systemprobleme, die sich nicht durch “besseren Unterricht” verändern lassen, gar nicht erst in den Blick. So gibt es unausgesprochene Widersprüche schon in Kapitelüberschriften zu lesen. Denn warum braucht es Verhandlungen und Verträge zwischen einem selbstbestimmten Lerner und seinem Lehrer? (“Chapter 6: Negotiating Student Learning Agreements”). Zuerst hatte ich gedacht, Verträge wären etwas zweiseitiges, und der Lehrer verspricht im “Vertrag” dem Schüler bestimmte Hilfeleistungen für sein Lernvorhaben. Aber in diesen “Verträgen” muss der Schüler einen bestimmten Lernplan als selbst-verpflichtendes Vorhaben unterschreiben. Der Beitrag des Lehrers war, dieses Lernvorhaben realistisch formulieren zu helfen. (Hier also ist der Zwang bei all der Freiheit – um mal den bekannten Kantschen Spruch anzupassen.)
Nun mag man ja einwenden, ich selbst hätte doch gerade oben eine Art “Lernvertrag” oder eine “Selbst-Verpflichtung” als Trick benutzt, um besser über schwere Zeit hinweg am Lernvorhaben festhalten zu können. Irgendwie stört mich aber eigentlich besonders das Wort “Vertrag”. (Vielleicht sagt ihr was dazu?) Und auf jeden Fall (nicht bei Gibbons, wo die Inhalte und Ziele ja selbstbestimmt sind oder werden sollen) finde ich die beliebt gewordenen sogenannten “Lernverträge” verlogen, wenn Schüler nicht wirklich über ihr Lernen bestimmen können, sondern nur Lernwege oder Methoden bzw. Zeiten wählen dürfen.
Eine andere Unwucht sehe ich in Chapter 7 “Motivating and Empowering”:
It is unique in that the teacher must motivate students to take on the task of managing their own activities and must then teach them to motivate themselves … (93)
Mal davon abgesehen, dass man niemanden (transitiv) motivieren kann, auch sich selbst nicht, denn echte Lernmotive müssen vom Lerner gebildet werden, bzw. stellen sie sich ein in Form einer Begierde, ein bestimmtes Objekt zu erlangen: Dieses Kapitel macht wiederum nur Sinn, wenn man Menschen als Lernende sich vorstellt als den Schüler und die Schülerin, die schon verlernt haben, etwas selbst wollen zu dürfen. Wenn also die große Freiheit erst spät in der Lernkarriere eintritt. Erzieher und Eltern von Vorschulkindern sind eher damit beschäftigt, viele Lernmotive und “Will-selber-machen-wünsche” und Begierden, ein Objekt zu erreichen, zu eliminieren, weil sie sie gar nicht alle befriedigen helfen können. Aber vielleicht ist mit all dem sich selbst oder andere “motivieren” ja bloß gemeint, an einem Vorhaben auch über Durststrecken hinweg festhalten zu können, Ausdauer zu entwickeln, die man vor allem braucht, wenn es grad keinen Spaß macht oder schwer wird. Dann ist damit etwas ganz anderes gemeint als Lernmotive. Aber der “Haupttrick”, sich oder andere zu “motivieren” also “in den Hintern zu treten”, “den inneren Schweinehund besiegen” und was dergleichen scheußliche Ermunterungs-Metaphern mehr sind, wäre doch, sich über seine wirklichen Lernmotive klar zu sein, sich an sie zu erinnern, erneut das erwünschte Ergebnis zu visionieren usw. All die “motivierungstricks” alleine könnten dies vielleicht sogar verbauen? – Dies mal ins Unreine gedacht und als Frage in die Gemeinde geworfen.
Ein Vorzug des Buches ist, dass er am Ist-Zustand anknüpft und so Machbarkeit statt nur Zukunftsträume befördert. Der Nachteil aber ist, dass darüber gar nicht gesprochen wird, dass der derzeitige Zustand von Schule, Lehrer, Schüler (also der Organisation des Lernens) ein historischer und der Lernende, der “motiviert” (in den A. getreten) werden muss, etwas selbst zu tun, keine anthropologische Konstante sondern ein hausgemachtes kultur-historisches Problem ist.
Eine dritte Schwäche im SDL-Konzept von Maurice Gibbons sehe ich darin, dass er ein lineares Stufenmodell von Selbstbestimmung beim Lernen vorsieht. Gemäß dem Wunsch, einen Übergang vom Lehrerbestimmten zum Selbstbestimmten Lernen in möglichst überschaubaren Schritten gestalten zu können, wird ein Stufenprogramm entworfen nach der Vorstellung, immer mehr Komplexität zuzulassen. Das halte ich nicht für sinnvoll, denn Komplexität und Kompliziertheit sind zwei verschiedene Dinge. Immer muss die volle Komplexität eines Lerngegenstand als Horizont gerade am Beginn eines Lernprozesses zu sehen sein. Im Gegenteil! Wenn der Lernende sie aufgrund seiner eigenen Wahrnehmungsbegrenzung zu eng sieht, muss ein guter Lerncoach sie erweitern, um mehr Optionen der persönlichen Sinnbildung sichtbar zu machen. Eine Fokussierung und Komplexitätsreduktion ergibt sich dann aus eben dieser Sinnbildung. Der komplexe Gegenstand “Holocaust” z.B. muss gerade nicht vom Lehrer didaktisch reduziert werden, damit er für einen 9. Klasse-Schüler bearbeitbar wird. Die didaktische Reduktion auf bestimmte Fragestellungen und Aspekte eliminiert ja womöglich den immer aus komplexer Realität gewonnen persönlichen Fragezusammenhang des Schülers, der Zugang zum Gegenstand (und Motiv!) z.B. dadurch erhält, dass sein Großvater als Deutscher in Kasachstan, und nun er als Spätaussiedler in Deutschland seine besondere und äußerst komplexe Perspektive auf die Sache entwickeln (= auseinanderfalten) muss, um den Gegenstand “lernen” zu können.
Anderes Beispiel: Das kleine Kind das sprechen lernt, lernt umso besser sprechen, je vielfältiger und differenzierter die Sprache seiner Umgebung ist. Es ist nicht lernförderlich, dem noch sprachlosen Kind zuerst nur mit Substantiven zu begegnen oder die Verben nur im Infinitiv zu benutzen, und ihm erst später die volle Komplexität von Grammatik und Syntax ganzer Sätze zuzumuten. Auch wenn man mit einem Kind in der direkten Kommunikation natürlich so zu sprechen versucht, dass es möglichst versteht, braucht es den Zusammenhang in der Lernumgebung mit der vollständigen differenzierten Erwachsenensprache.
Auch nicht sinnvoll finde ich folgende Einteilungen von Gibbons – der Lerngegenstand ist wohlgemerkt das Lernen des Lernens:
Grade 8: Introduction to SDL Activities
Grade 9: Thinking Independently
Grade 10: Self-Managed Learning
Grade 11: Self-Planned Learning
Grade 12: Self-Directed Learning
( p 29)
Selbstbestimmtes Lernen kann man demnach erst erreichen, nachdem man schon mal sein eigenes Lernen organisiert (self-managed) hat? Zur Organisation des Lernens gehört z.B., die Ressourcen zu beschaffen (Instrumente, Bücher, Internetzugang, Experten zur Beratung usw.). Ich glaube, hier verstehe ich etwas ganz anderes unter Self-Direction. Self-directed war m. Vorstellung nach z.B. der Wunsch meines Sohnes im Krabbelalter, die Eisenbahn zu erforschen. Stunden, nein Tage haben wir damit verbracht, dass ich ihn in der Karre zum Bahnhof Altona und dort nach seiner Anweisung (“da, da, da!!!!” *fingerzeig*) von einem Bahnsteig zum anderen gefahren habe, damit er beobachten konnte, was abging. Self-directed but not self-managed und schon gar nicht self-planned war das. Und es wäre ein zynischer Begriff von Selbstbestimmtem Lernen, wenn er die höchst selbstständige Beschaffung eines Internetzugangs voraussetzen würde anstatt bloß die unbekümmerte Verfügung über von anderen bereitgestellten Ressourcen (z.B. von frei verfügbarer Zeit eines Erwachsenen).
In den Lernprojekten meiner “Kunden” (Schüler, Referendare, Lehrer) haben diejenigen Projekte am meisten Selbstbestimmtes Lernen und die besten selbstevaluierten Ergebnisse gebracht, in denen sie selbst die Herrschaft über ihre Inhalte, Fragen und Ziele hatten und die Organisation von Ressourcen und die Prozessmoderation von Gruppenlernphasen an ihren Coach bzw. Facilitator (an mich also) abgeben konnten, der Dinge (resources, supplies) beschaffte, Kontakte ermöglichte und Moderationsdienstleistungen (Karten einsammeln, Protokolle schreiben, Plattformen oder Mindmaps anlegen, Beamer und Smartboard anwerfen und handeln, Gesprächsleitung übernehmen in heftigen Debatten usw …), erfüllte. Die Teilnehmer können sich dabei in einer ersten Phase ganz auf ihre inhaltlichen Lernbedürfnisse konzentrieren (Lernen des Gegenstands). In einer zweiten Phase wird auf diese Lernprozessgestaltung inclusive der Instrumente reflektierend geguckt. (Lernen des Lernens des Gegenstands.) Danach sind auch sie in der Lage, diese Prozesse selbst zu planen und Instrumente sinnvoll einzusetzen – und dies sowohl für ihr eigenes Lernen als auch für die Lernprozessgestaltung wiederum ihrer “Kundschaft” . Z.B. ist es sinnvoll, ein Dokument in google docs oder in mindmeister.com, das der Coach eingerichtet hat, in einem Lernprozess einfach mitzubenutzen. Dabei lernt man implizit mit diesem Instrument umzugehen, während man explizit z.B. die KZ-Gedenkstätte beforscht (Konzentration auf das WAS). Danach macht man sich die Prozessgestaltung und die Instrumente klar (Reflexion des WIE) und macht sie damit explizit zum Gegenstand des Lernens. (= Lernen lernen). Ich schlage damit vor, die Stationen von Gibbons geradzu umzukehren. Kompliziert und schwierig wird es, wenn man diese Phasen nicht via Metakognition voneinander trennt – also nie weiß, wo in seinem Lernprozess man sich gerade befindet.
In diesem Sinne funktionierte übrigens auch der Workshop in Utrecht. Alle Ressourcen wurden bereitgestellt, Räume, Material, Experten, Trainer, eine Fahrt nach Beverwijk zur Sudbury School organisiert, und schon Wochen im Voraus eine Ning-Plattform aufgesetzt, die die Teilnehmer vorzüglich zu einer Gruppe organisierte, sodass viel vorweg geplant werden konnte, um die eine Woche in Utrecht wirklich erfolgreich zu machen.
Trotz all der Einwände bleibt ein Vorzug, der das Buch empfehlenswert macht: Wer seinen Unterricht als Lehrerperformance vor einer Klasse lustloser, distanzierter und die Veranstaltung zuweilen störender Zuschauer leid ist, findet hier nicht nur ein überzeugendes Plädoyer für eine andere Art zu unterrichten, sondern auch viele Anregungen, praktische Tipps und Instrumente. Z.B. einen Katalog mit Beispielen für gelungene Forschungsfragen, oder ein Set an formulierten Forschungskompetenzen (“Holistic Rubric for the Scientific Investigation Skill”, S. 116). Und nach wie vor freut mich die Selbstverständlichkeit, mit der auch in ganz normalen Schulalltag die Ziele und Inhalte des Lernens als selbstbestimmbar angesehen werden.
Dass SDL nicht auf Erwachsenen- oder Jugendlichenpädagogik beschränkt werden muss, zeigt die Praxis der EUDEC-Schulen, in denen sich Schulen zusammengeschlossen haben, die selbstbestimmtes Lernen praktizieren, insbesondere die Sudbury Schools. Seit zwei Jahren haben wir auch in Deutschland zwei Sudbury-Schulen. (Vorher waren die Bundesländer nicht bereit, diese freieste Schulform überhaupt zu genehmigen.) Eine dieser Schulen ist die Sudbury-School in Berlin, die andere die im Volksmund so genannte “Nena-Schule” in Hamburg.
Das Sudbury-Konzept kann man sehr schön in diesem Film erkennen:
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2. Und hier ist mein (fast) selbst gemachtes Video über unseren Besuch in der De Koers Sudbury Schule in Beverwijk – tatatataaaaa!
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Hier fragte ich extra für euch, liebe Kollegen, die letzte Frage, weil ich doch weiß, es ist eine eurer wichtigsten Fragen zum selbstbestimmten Lernen: Lernen die Kinder denn auch, was sie lernen sollen, wenn sie lernen dürfen, was sie wollen?
Ich finde, der Antwort von Marloes ist nichts weiter hinzuzufügen als:
Mal wieder ist mancherorts die Praxis schon längst viel weiter als alle theoretischen Versuche, sie zu erklären )
Und was war denn nun so schwer daran, ein Video zu machen? fragten mich die jungen Leute in meiner Twittercommunity. Tja. Vielleicht liegt’s ja doch an meinem Alter. Mein geduldiger Videolehrer Tim Woensdregt fasste es so zusammen: “Keine Technik-Skills, aber RIESEN-Ansprüche ans Ergebnis”. Stimmt. Und wie führt man in einer Fremdsprache ein anständiges Interview mit den Fragen, die man wirklich hat, und filmt auch noch gleichzeitig dabei? Und dann hatte ich nur mein klitzekleines Netbook dabei, das viel zu klitzeklein war, um die Software richtig abzubilden, die timeline war nicht mehr auf dem screen drauf. Und dann war die abc-software auch noch der letzte Dreck. Dabei hatte man mir eindringlich vorher gesagt, ich bräuchte die xyz-software. Das nächste Mal höre ich auf meine Lehrer! Ganz bestimmt!
So und jetzt schicke ich dieses post noch durch den blablameter, mal schauen, was der sagt über den bullshit-quotienten meines posts: je nach Ergebnis ist entweder der blablameter getestet oder mein post
http://www.blablameter.de/index.php
Ergebnis: Bullshit-Index: 0.27
“Ihr Text zeigt erste Hinweise auf ‘Bullshit’-Deutsch, liegt aber noch auf akzeptablem Niveau.” Na bitte, das ist ja beruhigend.
