“Individuelles Lernen heißt nicht, jeder lernt Dasselbe allein, sondern alle lernen gemeinsam Verschiedenes.”
Diesen Satz haben wir – Max v. Redecker und ich – auf die Rückseite unserer Lehrerhandreichung geschrieben, die gerade
beim Drucker bei mir im Büro liegt. Wir finden den Satz deswegen so wichtig, weil so viele LehrerInnen mit einem Modell von Individualisiertem Unterricht arbeiten, das den SchülerInnen nur das Tempo, die Art & Weise und das Anforderungsniveau des Lernens in die eigene Verfügung stellt. “Herauskommen” muss “hinten” aber dann doch dasselbe, was für alle SchülerInnen als Output (früher Lernziel genannt) vorgegeben ist. Das heißt dann aber doch: Alle SchülerInnen lernen dasselbe – nur eben nicht mehr zur gleichen Zeit und vielleicht nicht auf dieselbe Art und Weise und in derselben Reihenfolge. Aber am Ende des Schulhalbjahres müssen sie doch auf dem gleichen Stand(ard) angekommen sein und Dasselbe wissen.
Und dabei wird in der Unterrichtsorganisation dann oft auch noch eine Vereinzelung durch diese Individualisierung gedacht und erreicht. Jeder arbeitet an anderen Arbeitsblättern still für sich hin. Wenn man Fragen hat oder fertig ist, dann wartet man auf den Lehrer oder gibt das ausgefüllte Blatt zur Kontrolle an den “Chef”, wie der jeweilige Schüler-Spezialist im Individualisierungs-Model “Chefsystem” genannt wird.
Wir meinen stattdessen, dass eine echte Individualisierung in der Personalisierung von Lerngegenständen bestehen muss. Das heißt, dass jeder an seinen eigenen Fragen zu einem komplexen Lerngegenstand arbeiten darf. Dabei kann natürlich auch nicht ein Ergebnis für alle vorweg bestimmt werden. Ergebnisoffenheit ist eine wichtige Voraussetzung des individualisierten Unterrichts.
Und wozu braucht man dann noch die Anderen beim Lernen? (“Soll dann etwa jeder Schüler einen eigenen Lehrer bekommen?”, wurde ich schon oft gefragt.)
Wir brauchen uns gegenseitig zum Austausch unserer unterschiedlichen Perspektiven, als Spiegel unserer Gedanken und als Sparringspartner zur Korrektur einseitiger Urteile in der Sache. Wir brauchen einander beim Lernen auch in der gegenseitigen Hilfe, was den Lernprozess selbst angeht, seine Methoden, Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten. Peer coaching statt “Chefsystem”.
Solches individualisiertes, selbstbestimmtes, kollaboratives Lernen kann auch in der bestehenden Schule und in der “normalen Unterrichtszeit” stattfinden. Voraussetzung ist, dass der Stundenplan wenigstens in Doppelstunden rhythmisiert ist.
All das beschreiben und zeigen wir an einem Unterrichtsvorhaben, das wir in der Stadtteilschule Bahrenfeld durchgeführt haben. Der Lerngegenstand heißt “Migration-Integration” und ist ein Gegenstand aus der Profiloberstufe Politik/Gesellschaft/Wirtschaft.
Nach diesem Modell kann aber auch zu anderen Gegenständen und in anderen Fächern und Schulstufen gelernt werden. Überall da, wo eine “Erkundung” Sinn macht. Selbst ein Mathematiklehrer sagte mir, er könne sich im Fach Geometrie ein Erkundungsprojekt z. B. zum Thema Dreiecke vorstellen.
Und natürlich haben wir auch mit Web 2.0 gearbeitet (mit Prezi, Etherpad und Weblog). Denn Projektlernen und Web 2.0 haben viele Wesensmerkmale gemeinsam: individuell, selbstbestimmt, ergebnisoffen und kollaborativ sind beide. Es wird Zeit, dass sie auch im schulischen Lernen zusammenfinden.
Mit diesem Material werden wir Fortbildungen anbieten, auf denen nicht nur das Konzept vorgestellt und diskutiert wird, sondern auch die digitalen Instrumente ausprobiert und in einem Erfahrungsaustausch eigener Unterricht nach diesem Konzept entworfen werden kann. Aktuell finden zwei solche Werkstattfortbildungen am 19. bzw. am 24. April von 16 – 19 Uhr in der Stadtteilschule Bahrenfeld statt. (Anmeldung für Hamburger Lehrer und Referendare TIS 1214X1401 bzw. TIS 1214X1402 – andere Interessierte bei mir: lisa.rosa@li-hamburg.de )
Die gedruckte Din-A4-Broschüre kann man sich von der Beratungsstelle Interkulturelle Erziehung des LI kostenlos zusenden lassen ( interkultur@li-hamburg.de ).
